14.7.2023

Der Beckenboden bildet die Basis für Gesundheit und Lebensqualität

Der Beckenboden spielt für die weibliche Gesundheit eine essenzielle Rolle. Am häufigsten kommt es zu Harninkontinenz oder Senkung der Beckenorgane. Doch viele Frauen sind sich dessen kaum bewusst.


Besprechung Endometriose

«Fokus» sprach daher mit dem Gynäkologie-Chefarzt des Spitals Männedorf und erfuhr, was einen gesunden Beckenboden auszeichnet – und wie man ihn bei Erkrankung oder Störung behandeln kann.

Ralf Joukhadar, warum ist ein gesunder Beckenboden so wichtig?

Aus diversen Gründen. Zum einen gewährt er eine adäquate Funktion von Harnblase und Enddarm. Zum anderen stellt er eine wichtige Grundvoraussetzung für eine gesunde, weibliche Sexualität dar. Auch wer körperlich aktiv sein möchte und einen sportlichen Lebensstil pflegt, profitiert massgeblich von einem gesunden Beckenboden. Und obschon diese Region des Körpers enorm zu Gesundheit und Wohlbefinden beiträgt, ist ihre Wichtigkeit vielen Menschen kaum bewusst.

Wie häufig kommt es denn zu Erkrankungen in diesem Bereich?

Statistisch gesehen ist jede dritte Frau in der Schweiz nach der Entbindung von Blasen- oder Senkungsproblemen betroffen. Nach der Menopause, sprich ab einem Durchschnittsalter von 50 Jahren, weist gar jede zweite Frau eine Störung des Beckenbodens auf. Diese beiden Faktoren, sprich die Geburt eines Kindes oder die Verminderung der Hormonausschüttung im höheren Alter, sind die beiden Haupttreiber für Funktionsstörungen am Beckenboden. Ferner können auch markantes Übergewicht sowie chronische Verstopfung zu Risikofaktoren werden, allerdings in einem weitaus geringerem Masse. Nicht in allen Fällen ist zur Behandlung eine Operation nötig, es gibt auch nicht-invasive Massnahmen wie das Verabreichen von Medikamenten sowie gezieltes Beckenbodentraining. Dennoch liegt die Rate an Erkrankungen oder Störungen, die eine OP notwendig machen, bei rund 18 bis 20 Prozent aller Frauen.

Wie äussern sich Beckenboden-Komplikationen konkret?

Am häufigsten kommt es zu Blasenentleerungsstörungen oder Inkontinenz. Auch eine Senkung der Genitalorgane und/oder der Blase tritt oft auf. Am dritthäufigsten leiden Frauen unter einer Kombination der genannten Symptome sowie zusätzlicher Probleme der Stuhlentleerung. Die Erkrankungen gehen oftmals einher mit einer Sexualstörung.

Es sind also viele Frauen potenziell betroffen und die Symptome sind einschneidend. Wie kommt es da, dass das Thema «Beckenbodengesundheit» nicht mehr Aufmerksamkeit erfährt?

Das hat unter anderem damit zu tun, dass die Erkrankung des Beckenbodens sowie die damit einhergehenden Auswirkungen generell schambehaftet sind. Vielen Betroffenen ist es einfach unangenehm, sich dazu zu äussern. Der zweite essenzielle Faktor besteht in der Tatsache, dass es an versierten Fachleuten in diesem Bereich fehlt.

Was also können Betroffene tun, beziehungsweise, wie geht man am Spital Männedorf vor?

Wir unterscheiden verschiedene Ebenen der Prävention und Behandlung. Die primäre Ebene besteht aus einer umfassenden und guten Geburtshilfe. Seit diesem Jahr bieten wir die beckenbodenschonende Geburtshilfe an. Hierbei handelt es sich um ein Bündel von Massnahmen, mit dem Hebammen und Ärzte gemeinsam sicherstellen, dass der Beckenboden einer werdenden Mutter besser auf die Geburt vorbereitet ist und die Prozesse schonender gestaltet werden.

Die zweite Präventionsebene wird durch eine nahe Begleitung sowie durch medizinische Massnahmen gebildet: Wegen der Vielfältigkeit der Symptome und Beschwerden erfolgt die Behandlung in komplexen Fällen auch interdisziplinär. Dazu wird je nach Beschwerdebild die Expertise der Proktologie (Enddarm-Spezialisten) oder Urologie in die Behandlung involviert. Die Kooperation der drei Hauptabteilungen Urogynäkologie, Proktologie und Urologie bildet das Rückgrat für ein interdisziplinäres Beckenbodenzentrum, welches den Patientinnen ein ganzheitliches Behandlungskonzept aus einer Hand anbieten kann. Ende dieses Jahrs wollen wir uns gemeinsam zum Beckenbodenzentrum zertifizieren lassen.

Welche Operationen gelangen bei Beckenbodenerkrankungen normalerweise zur Anwendung?

Das Spektrum der Eingriffe ist enorm breit, es werden mehr als 20 Formen unterschieden. Wir führen diese ohne Bauchschnitt durch. Entweder erfolgt der Zugriff über die Scheide, ohne eine äussere Wunde zu verursachen, oder wir nutzen die schonende Schlüsselloch-Chirurgie. Die gängigen OPs unterscheiden sich auch aufgrund des Alters der Patientinnen. Als «Goldstandard» für jüngere Patientinnen hat sich die Sakropexie etabliert. Dieses Verfahren wird per Bauchspiegelung durchgeführt und kommt bei einer Senkung von Gebärmutter, Scheide oder Blase zum Einsatz. Ich selbst habe diesen Eingriff schon mehr als 800-mal durchgeführt und schule noch heute an der Uniklinik Würzburg andere Chefärztinnen und Chefärzte zu diesem Thema. Am Spital Männedorf führen wir auch die nervenschonende Sakropexie durch. Dank der robotergestützten Laparoskopie (Bauchspiegelung) kann dieser Eingriff maximal schonend mit optimaler Wirkung erbracht werden.

Erschienen in Fokus Uneingeschränkt Leben by Smart Media Agency AG

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