Was kommt dir beim Begriff «Männergesundheit» als erstes in den Sinn und warum ist das Thema wichtig?
Als Onkologin denke ich zuerst an die Vorsorge von Hoden- und Prostatakrebs – beides zentrale Bestandteile der Männergesundheit. Aber Früherkennung betrifft weit mehr: Auch die Darmkrebsvorsorge ab 50 Jahren ist essenziell. Zudem gehören psychische Gesundheit, Depression und Suizidprävention klar zum Thema Männergesundheit.
Was beobachtest du im klinischen Alltag: Warum tun sich viele Männer schwer mit der Vorsorge?
Viele Männer sind heute gut informiert und nutzen Vorsorgeangebote – dank Hausärzten, sozialen Medien und anderen Informationskanälen. Dennoch gibt es weiterhin Männer, die Angst vor Untersuchungen haben, skeptisch sind oder sich genieren, den Intimbereich untersuchen zu lassen, besonders die Jüngeren. Andere nehmen sich schlicht keine Zeit dafür. Leider stellen wir viele Diagnosen erst rund um die Pensionierung. Dabei kann Krebs jeden treffen – und Vorsorge kann Leben retten.
Diagnosen & Vorsorge
Welche Rolle spielt die Früherkennung bei Prostata- oder Hodenkrebs?
Früherkennung bedeutet, Krebs oder Vorstufen zu entdecken, bevor Beschwerden auftreten – idealerweise bevor sich Metastasen bilden. In diesem frühen Stadium sind die Heilungschancen am besten.
Bei Prostatakrebs ist eine Kombination aus Bluttest (PSA) und der digitalen rektalen Untersuchung (DRU) die gängige Vorsorge.
Bei Hodenkrebs gibt es keine routinemässigen Ultraschall- oder Bluttests. Hier ist die regelmässige Selbstuntersuchung entscheidend: monatliches Abtasten beider Hoden, zum Beispiel unter der Dusche.
Ab welchem Alter sollten Männer zur Vorsorge gehen – und wie oft?
Hodenkrebs: selten, tritt vor allem zwischen 15 und 45 auf. Empfehlung: regelmässige Selbstuntersuchung.
Prostatakrebs: PSA und DRU werden zwischen 50 und 70 Jahren empfohlen, alle 1–2 Jahre, sofern der Mann bereit und gesundheitlich in der Lage wäre, eine Behandlung durchzuführen.
Risikogruppen (z. B. Prostatakrebs bei Vater/Bruder oder BRCA-Mutation): Start bereits mit 40–45 Jahren.
Welche Warnsignale werden häufig übersehen?
Bei Hodenkrebs: schmerzlose einseitige Schwellungen, Verhärtungen oder Knoten – sofort ärztlich abklären lassen.
Prostatakrebs verursacht anfangs meist keine Symptome. Mögliche Alarmzeichen sind Blut im Urin oder Samenerguss. Weitere – unspezifische – Symptome können verzögertes oder verlängertes Wasserlassen, schwacher Harnstrahl oder Beschwerden beim Stuhlgang sein. Deshalb ist eine urologische Abklärung empfohlen.
Typische Mythen & Tabus
Gibt es typische Männer-Mythen, die du gerne richtigstellen würdest?
Ein verbreiteter Mythos ist: Eine Prostata-OP führt zwangsläufig zu Impotenz oder Inkontinenz. Das stimmt nicht. Risiken bestehen, aber häufig erholt sich die Funktion über Monate, insbesondere mit Beckenbodentraining. Zudem haben sich Operations- und Strahlentherapien stark verbessert.
Ein weiterer Mythos: Prostatakrebs betrifft nur ältere Männer. Männer zwischen 40 und 50 mit familiärer Belastung haben ein deutlich erhöhtes Risiko – teilweise sogar für aggressivere Tumoren.
Und: „Wenn der Hoden weh tut, ist das Krebs.“ – Nein. Hodenkrebs ist meist schmerzlos. Schmerzen sprechen häufiger für Entzündungen oder eine Hodenverdrehung (Notfall!), sollten aber ebenfalls abgeklärt werden.
Wie kann man das Thema enttabuisieren?
Indem man offen darüber spricht: von Mann zu Mann, Vater zu Sohn, Bruder zu Bruder, Freund zu Freund – aber auch von Frau zu Mann. Vorsorge sollte so selbstverständlich sein wie Blutdruckmessen. Wissen statt Scham, Austausch statt Verschweigen. Männlichkeit bedeutet in diesem Fall, Verantwortung zu übernehmen und zur Vorsorge zu gehen.
Emotionale & psychologische Ebene
Wie erleben Männer eine Krebsdiagnose im Vergleich zu Frauen?
Die Reaktionen sind individuell. Oft sprechen Männer weniger über ihre Gefühle, was aber nicht bedeutet, dass sie weniger belastet sind. Gerade deshalb ist es wichtig, auch Männer aktiv nach ihrer emotionalen Situation zu fragen und ihnen psychologische Unterstützung anzubieten.
Was hilft Betroffenen emotional am meisten?
Wichtig sind stabile Ressourcen im Alltag: Familie, Freunde, Partnerschaft, manchmal auch ein Haustier. Ablenkung, realistische Ziele und kleine Erfolge unterstützen die Krankheitsverarbeitung. Offen zu sprechen – besonders wenn die Prognose ernst ist – hilft sowohl Patienten als auch Angehörigen. Gleichzeitig braucht es Momente, in denen bewusst Abstand von der Krankheit geschaffen wird.
Gibt es einen Moment aus deiner Arbeit, der dir besonders in Erinnerung geblieben ist?
In meiner Assistenzzeit betreute ich einen jungen Patienten mit metastasiertem Hodenkrebs. Er erhielt wochenlange Hochdosischemotherapien und war so geschwächt, dass ihn seine Freundin füttern musste, weil er seine Fingerspitzen kaum noch gespürt hat. In diesem Zustand sagte er mir, dass er noch heiraten möchte. Zwei Jahre später traf ich die beiden zusammen an einem Konzert in Zürich – verheiratet, und ohne Hinweise auf einen Rückfall. Solche Momente zeigen mir, warum sich der Einsatz für Patienten lohnt.
Was macht dir an der Arbeit mit männlichen Patienten besonders Freude oder gibt dir Hoffnung?
Viele Männer sind pragmatisch, humorvoll und direkt. Bei jungen Patienten ist es bewegend zu sehen, wie sie ins Leben zurückfinden. Bei älteren freue ich mich immer über einen „kleinen Schwank“ aus dem Leben.
Was möchtest du Männern im Movember und darüber hinaus mit auf den Weg geben?
Liebe Männer, die Prostatauntersuchung ist kurz, unkompliziert und kann Leben verlängern – geht zur Vorsorge, und vergesst auch die Darmspiegelung nicht!