20.12.2023

«Die laotischen Hebammen sind mit Leichtigkeit unterwegs und manuell sehr geschickt.»

Unsere Hebamme Franca Rüegger nimmt uns mit auf eine Geburtenstation im Süden von Laos. Sie engagiert sich ehrenamtlich für das «Swiss Laos Hospital Project». Seit 1999 verbessert das Projekt in kleinen aber wichtigen Schritten die Betreuung von Frauen vor, während und nach der Geburt.


Franca Rüegger

Wie bist du dazu gekommen, ehrenamtlich in Laos zu arbeiten?

Einen karitativen Hilfseinsatz wollte ich schon als junge Frau machen. Nachdem meine eigenen Kinder „flügge“ wurden und ich noch die Hebammenausbildung absolvierte, lernte ich in einem Neonatologie-Praktikum eine langjährige Mitarbeiterin vom „Swiss Laos Hospital Project" (SLHP) kennen. Ich bewarb mich nach dem Hebammen-Diplom und nach der Pandemie, im November 2022, durfte ich das erste Mal nach Laos mitgehen.

Kannst du uns von einem typischen Arbeitstag in Laos erzählen?

Ich besuche das Spital von Champasak, welches im Süden von Laos liegt. Dort werden pro Jahr ca. 4000 Kinder geboren. Ich bewege mich vor allem als Beobachterin in den Räumlichkeiten der Geburtskliniken. Ich beobachte, wie dort Schwangerschaftskontrollen, Geburten und Nachbetreuungen ablaufen und bringe hie und da Änderungsvorschläge an. Bei der Hygiene konnte ich mich nicht zurückhalten und habe in einem Anflug von Aktionismus mit der Kollegin den ganzen Gebärsaal gereinigt inklusive den Betten und Geräten.

Wie arbeiten die Hebammen in Laos und wie sind die Zustände in den Geburtsabteilungen?
Die laotischen Hebammen sind mit Leichtigkeit unterwegs und manuell sehr geschickt. Sie lassen sich nicht aus der Ruhe bringen. Partner und Verwandte haben keinen Zutritt zu den Geburtszimmern, warten aber in den Korridoren mit mitgebrachtem Essen von Zuhause. Je nach Situation sind mehrere Gebärende in einem Raum. Vorhänge für ein wenig Privatsphäre sind zwar vorhanden, aber meistens nicht gezogen. Nach einer Geburt wird die Geburtsverletzung der Frau von der Hebamme genäht, das Neugeborene wird warm eingepackt und die junge Mutter kommt so schnell wie möglich auf die Wochenbettabteilung, wo sie für eine Nacht bleibt.

«Die Gebärenden bewegen sich still leidend auf den Gängen des Spitals
und lassen sich den Schmerz nicht anmerken»

Was sind die grössten Unterschiede in der Hebammenbetreuung zwischen dem Spital Männedorf und deiner Arbeit in Laos?

Die Frauen werden während der Eröffnungsphase nicht vom Personal betreut. Meistens bewegen sie sich still leidend auf den Gängen des Spitals und lassen sich den Schmerz nicht anmerken. Dabei wird das Kind auch nie von einem CTG überwacht. Zum Vergleich: Im Spital Männedorf werden die Kinder ab 4 cm Muttermunds-Eröffnung durch ein konstantes CTG-Monitoring überwacht, um bei einer Notlage (Bsp. Sauerstoffsättigungsabfall) sofort eingreifen zu können.
Während der Geburt wird der Frau in Laos keine Schmerzmedikation angeboten, sondern von allen lauthals angespornt, das Kind rauszupressen. Bei jeder Erstgebärenden wird eine Episiotomie (Dammschnitt) geschnitten, was bei uns nur noch in seltenen Fällen empfohlen wird.

Ist das Neugeborene da, wird es gleich nach der Geburt an den Füssen mit Kopf nach unten gehalten, um die Lungen frei zu halten. Das ist bei uns schon seit Jahren nicht mehr übliche Praxis. Meinen Beobachtungen zu Folge ist es aber auf jeden Fall wirksam. Auf der Wochenbettstation werden die jungen Mütter von den Angehörigen mit Essen und Decken versorgt - es wird alles von Zuhause mitgenommen. Da die Familien oft von weit weg herkommen, schlafen die Verwandten auf Reismatten in den Spitalgängen, oder im Mehrbett-Zimmer der Frauen.


Welche besonderen Herausforderungen begegnen dir in deiner ehrenamtlichen Tätigkeit?

Ich versuchte den laotischen Hebammen die Nutzung der CTG-Geräte, vor allem in der Endphase der Geburt, nahezulegen, um bei einem Sauerstoffabfall des Kindes die Geburt schneller beenden zu können. In der Physiotherapie erlebte ich sehr viele cerebral gelähmte Kinder, welche ihr Handicap wegen zu wenig Sauerstoff während der Geburt haben. Auch würde ich die Hebammen und Ärzte in Laos gerne davon überzeugen, dass nicht bei jeder Erstgebärenden ein Dammschnitt sein muss. Damit würde auch der Blutverlust unter der Geburt verringert und die Frau nicht (unnötig) verletzt werden.

Gab es Momente, die dich besonders berührt haben?

Ja, es gibt Geschichten die mich tief bewegen und auch nicht mehr loslassen. Als eine 16-jährige auf der Station ihr erstes Kind geboren hatte, waren weder Verwandte noch Partner vor Ort, welche sich um sie und ihr Baby kümmerten. Die junge Frau wirkte leicht retardiert und es stellte sich heraus, dass sie in ihrem Dorf vergewaltigt worden war. Auch hatte sie keine Kleider, Tücher und Windeln dabei für das Kind und sich selbst. Andere Mütter schenkten ihr nach der Geburt ihr bescheidenes Hab und Gut. Auf dem Markt kaufte ich ihr zusätzlich das Nötigste ein und das Spital liess ihr ein Couvert mit Bargeld für die ersten Tage zukommen.

Was hast du aus deiner Zeit in Laos für deine Arbeit im Spital Männedorf mitnehmen können?

Bescheidenheit und Demut. Ich bewundere die Herzlichkeit der Laotinnen und Laoten, ihren Pragmatismus und die Fähigkeit, aus einem für uns einfachen Leben das Beste herauszuholen. Ihr buddhistischer Glaube hilft ihnen dabei, Schicksalsschläge als Karma anzunehmen. Eine Einstellung, die mein westliches Denken ab und zu überfordert.

Wie reagieren deine Kollegen und Kolleginnen hier im Spital auf dein Engagement in Laos?

Sie unterstützen mich, indem sie für mich Hilfsgüter und gebrauchtes medizinisches Material vom Spital sammeln. Alles, was nicht in meinen Koffer passt, lassen wir in einem grossen Container verschiffen. Auch gibt es immer wieder Kolleginnen, die den Wunsch äussern, mitzukommen, was ich sehr begrüssen würde. Denn unser gynäkologisches Team im Swiss Laos Hospital Project besteht nur aus zwei Hebammen. Zudem unterstützen wir mit unserem Verein ja mehrere laotische Spitäler in verschiedenen Gebieten.

«Das Hauptziel von Swiss Laos Hospital Project ist es,
die Kinder- und Müttersterblichkeit zu reduzieren.»

Was motiviert dich zurück nach Laos zu gehen und dort zu helfen?

Das Hauptziel von Swiss Laos Hospital Project ist es, die Kinder- und Müttersterblichkeit zu reduzieren. Ich war letztes Jahr einmal und dieses Jahr zwei Mal in Laos. Ich schätze das Interesse der Laotinnen und Laoten, Neues zu lernen. Das Spitalpersonal ist sehr interessiert an Weiterbildungen und freut sich über das mitgebrachte Material, wie zum Beispiel CTG-Geräte oder Inkubatoren für die Neonatologie, Operationsbesteck und andere Spitalutensilien. Ich sehe unseren Besuch in Laos als fachlichen, materiellen wie auch menschlichen Austausch - beide „Seiten“ können voneinander lernen und profitieren.


Gibt es lokale Gegebenheiten oder kulturelle Unterschiede, die deine Arbeit in Laos besonders prägen?

Schicksalsschläge wie der Tod eines Neugeborenen, oder einer Mutter werden durch den buddhistischen Glauben oft als Karma angesehen und dadurch anders verarbeitet, als bei uns in Europa. Aus westlicher Sicht fällt mir das nicht immer leicht, da man hier in der Schweiz durch bessere Hygiene und Überwachung von Mutter und Kind nichts dem Zufall überlässt.


Wie können andere, die ebenfalls Interesse an solch einem Engagement haben, aktiv werden?
Interessierte dürfen sich entweder beim Vorstand von www.swisslaos.ch melden, oder direkt bei mir. Das Projekt basiert auf Freiwilligenarbeit und wird von Spenden finanziert. Der Fokus unserer Arbeit liegt im Bereich der Gynäkologie, Geburtshilfe und Neonatologie. Einmal im Jahr geht aber auch eine Gruppe von Hausärzten*innen und Psychiater*innen nach Laos.

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