Ein Jahrzehnt Entwicklung «Wir haben damals wirklich bei Null angefangen», erinnert sich Dr. med. Christian Kandler, der die Akutgeriatrie in Männedorf von Beginn an mitaufgebaut hat. Der Allgemeinmediziner mit über 30 Jahren geriatrischer Erfahrung ist seit 2005 auch im Teilzeitpensum als Haus- und Heimarzt tätig Ein Hintergrund, der seinem heutigen Wirken Tiefe verleiht. «Vier Betten, ein kleines Team, viel Überzeugungsarbeit: Das war damals unser Start.»
Seitdem hat sich viel bewegt: Bauliche Erweiterungen, interprofessionelle Standards, digitale Dokumentation, stetig steigende Fallzahlen bei gleichbleibender Versorgungsqualität. Und seit 2023 ein neuer Leitender Arzt und Leiter der Akutgeriatrie David Ebersbach. Der internistisch ausgebildete Altersmediziner führte zuvor eine Akutgeriatrie in der Nordwestschweiz. Für ihn war der Wechsel nach Männedorf eine bewusste Entscheidung: «Mich haben die Führungskultur und die hohe Pflegequalität überzeugt und generell die Haltung im Haus, gemeinsam wirklich etwas zu gestalten.»
Zwischen Präzision und Menschlichkeit: Was Akutgeriatrie leistet
Ebersbach betont. «Wir behandeln Menschen, die oft unter mehreren schweren Erkrankungen leiden. Da braucht es Erfahrung, Fingerspitzengefühl und vor allem: ein Team, das interdisziplinär denkt.»
Tatsächlich gilt die Akutgeriatrie als Paradebeispiel für patientenzentrierte Medizin. Während in vielen Bereichen des Gesundheitswesens Effizienz mit Tempo gleichgesetzt wird, zählt in der Altersmedizin etwas anderes: Funktionelle Ziele, realistische Behandlungsziele, langfristige Lebensqualität.
«Ein Patient mit Hüftbruch wird operiert, aber wenn er danach nicht rehabilitiert wird, verliert er Muskelkraft und kann immobil werden», erklärt Ebersbach. «Wird hingegen geriatrisch mitbehandelt, ist die Chance für der Patient mobil und selbstständig bleibt deutlich höher. Das ist der Mehrwert unserer Arbeit.»
Strukturierte Teamarbeit – wissenschaftlich fundiert
In der Akutgeriatrie des Spitals Männedorf arbeiten Ärztinnen und Ärzte, Pflege, Physiotherapie, Ergotherapie, Sozialberatung und Ernährungsberatung eng zusammen. Wöchentlich erfolgen strukturierte Assessments und gemeinsame Behandlungsplanung. «Diese Interdisziplinarität ist nicht nur ein modernes Schlagwort», so Ebersbach, «sie ist gelebter Alltag und der Nutzen der Akutgeriatrie ist wissenschaftlich belegt.»
Dabei hilft ein systematisch gepflegter Erfahrungspool, der auch für komplexere Situationen wie Delir, Demenz oder Multimedikation tragfähige Lösungen bietet.
Das Ziel: Menschen nicht nur zu behandeln, sondern ihnen ein möglichst selbstbestimmtes Leben zu ermöglichen, auch nach dem Spitalaustritt.
Für Christian Kandler ist die Arbeit mit älteren Menschen weit mehr als ein Beruf: Sie ist eine Haltung. «Ich habe alte Menschen einfach sehr gerne», sagt der Geriater, der aktuell im Rahmen seiner Spitaltätigkeit seit vielen Jahren geriatrische Patientinnen und Patienten in zwei grösseren Heimen betreut. «Es ist eine dankbare Klientel, sehr vielfältig. Und gerade bei Hochbetagten gilt: Weniger ist oft mehr.»
Was ihn nach über 30 Jahren in der Altersmedizin noch immer motiviert? «Die tägliche Herausforderung. Und das Wissen, dass wir wirklich etwas bewirken können, wenn wir uns die nötige Zeit nehmen.» Seine Erfahrung macht ihn auch zu einem Brückenbauer zwischen Spital, Hausarztpraxis und Langzeitpflege, dort, wo nahtlose Zusammenarbeit besonders zählt.
Geriatrie als Zukunftsmedizin: Trends und Herausforderungen
Beide Ärzte sehen die Akutgeriatrie nicht nur als medizinisches Fachgebiet, sondern als Antwort auf tiefgreifende gesellschaftliche Veränderungen. «Ein 80-Jähriger hat heute noch durchschnittlich ca. neun Lebensjahre vor sich», sagt Ebersbach. «Es geht längst nicht mehr nur darum, Lebenszeit zu gewinnen sondern um Lebensqualität.»
Ein aktueller Trend ist die sogenannte „Hospital-at-Home“-Versorgung, bei der Spitäler ambulante Leistungen bis an die Haustür bringen. Auch die Digitalisierung schreitet voran. Doch Ebersbach meint: «Technologie kann viel, aber sie darf den persönlichen Kontakt nicht ersetzen. Gerade ältere Menschen brauchen beides: Zuwendung und Verlässlichkeit.»
Gleichzeitig wächst das Bewusstsein, dass Geriatrie eine eigene Logik hat: andere Krankheitsverläufe, andere Medikamentenwirkungen, andere Ziele. «Die Geriatrie ist ein junges Fach», sagt Ebersbach mit einem Schmunzeln. «Aber sie reift und mit ihr auch die Anerkennung.»
Das Team zählt – und die Haltung
«Wir stellen uns jeden Tag die Frage: Was bringt dem Patienten wirklich etwas?», beschreibt Ebersbach seine Leitlinie. Dazu gehört auch, dass das Team mit Freude und Freiraum arbeiten kann. «Weniger Bürokratie, mehr Mensch», wünscht sich Dr. Kindler für die nächsten zehn Jahre.
Auch Dr. Schneider, Chefarzt Medizin, betont die strategische Bedeutung der Akutgeriatrie für das Spital: «Gerade in einer alternden Region wie am rechten Zürichseeufer ist sie essenziell: Medizinisch, strukturell und menschlich.»